Mittwoch, 23. September
Das bisschen Kontrolle
Die VP-treue Justizministerin Claudia
Bandion Ortner macht weiter in ihrem Kampf gegen die heimische Justiz. Auf einer Richtertagung hat sie
heute in Fohnsdorf angekündigt, die Geschworenen-Gerichtsbarkeit abschaffen zu wollen. Kaschiert wird
das mit dem Wort "Reform". Das bisschen Kontrolle, das das Volk über die
Richterklasse hat, soll ihm genommen werden. Es soll zu Tode reformiert, abgeschafft werden. Entsorgt auf
dem Schutthaufen demokratischer Grundrechte, die eine Justizministerin vom Format Bandion-Ortners als
störend empfindet. Und sie macht nicht einmal einen Hehl daraus, in wessen Interesse sie hier spricht. In
Ihren Augen ist es "besonders schlecht", ausschließlich Laien mit der Schuldfrage zu befassen. In
Schwurgerichtsfällen sollen nach ihrer Meinung nur mehr Geschworene und Berufsrichter gemeinsam ein Urteil
fällen.
"Ich habe mir viele Jahre lang gedacht, wenn ich einmal etwas zu sagen haben, möchte
ich das ändern. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen", sagt die "Justiz"ministerin vor der Tagung. Die
Geschworenen verhöhnt sie als überfordert, nervlich nicht belastbar und so weiter und so fort. Vor so viel
geheucheltem Mitgefühl wird einem schlecht.
In Teilen hat sie die Geschworenen schon
abgeschafft, der Rest soll folgen. Versteckt hinter dem Wörtchen Reform sollen, geht es nach ihr,
Vertreter und Vertreterinnen des Volkes nur mehr am Gängelband der Richterklasse Recht sprechen dürfen.
Die Richterin macht Politik für Richter.
Die drei Gebote
Bandion-Ortners Wenn nur mehr der Berufsrichter, der Vertreter seiner Klasse, richtet,
kehren wir zur Kabinett- und Klassenjustiz zurück, die die Geschworenengerichtsbarkeit in Österreich
teilweise beseitigt hat. Dann sind sie wieder unter sich, die Herren von CV und Burschenschaften und die
Damen, die der gleichen Ideologie folgen. Die wenigen Richter, die nicht diese Richtung vertreten - was
werden sie schon für einen Unterschied machen.
Du sollst den Satten über den Hungrigen
richten! lassen Das Erste Gebot Claudia Bandion-Ortners. Nur er, gottgleich hinter seinem Kreuz, kann für
Gerechtigkeit sorgen. Nur eine Spielbank selbst weiß, ob denn nun ein
online Casino Bonus ohne Einzahlung tatsächlich Spielsucht fördert, oder nicht. Die Täter sollten generell gleich zu Richtern berufen werden und eben über die Opfer richten. Nur er kann den armen Schluckern zeigen, dass sie nicht aufmucken sollen. Nur ihm
kann es kraft seiner privilegierten Position in der Gesellschaft an Mitgefühl und Verständnis fehlen, dem
Angeklagten nicht die Hölle auf Erden zu bereiten, ihn nicht zu desozialisieren sondern ihm zu helfen, in
dieser Gesellschaft wieder Fuß zu fassen.
Du sollst den Pöbel vor der Tür lassen! Zweites
Gebot der Bandion-Ortner. Wenn die Geschworenen nur mehr Schöffen sind, hat man das einigermaßen erreicht.
Abzuwarten, wann sie fordert, dass auch die Öffentlichkeit aus dem Gerichtssaal ausgesperrt werden kann.
Verkleinert man die Gerichtssäle, hat man mehr davon und kann mehr arme Schlucker schneller abfertigen.
Ohne die löstige Aufsicht dessen, was sich Volk nennt. Wer braucht das schon, wenn man's doch unter sich
viel bequemer hat? Du sollst im Geheimen richten! Drittes Gebot nach Bandion-Ortner.
Frau Bandion-Ortner, treten Sie zurück! Es überrascht wenig, dass solche
Forderungen von Bandion-Ortner kommen. Wer Wiener Busspuren für das Dienstfahrzeug benutzen will, hat
jeden Bezug zur Realität verloren. Sofern der nach ihrer Richterkarriere überhaupt noch vorhanden war.
Und, dass sie von demokratischer Kontrolle wenig hält, zeigt ihr Vorgehen gegen die Falter-Informanten.
Dabei wäre demokratische Kontrolle gerade in ihrem Ressort notwendig. Was wunder, dass sie "Reformen"
vorschlägt, die angetan sind, sämtliche mühsam erkämpften Fortschritte im Gerichtswesen
abzuschaffen?
Dass der Satte nicht mehr uneingeschränkt über den Hungrigen richten darf, dass
nicht Kaisers Justiz willkürlich gilt, ist Ergebnis langer, zäher Auseinandersetzungen. Bei allen ihren
Mängeln hat sich die Geschworenengerichtsbarkeit gegenüber dieser Form von Justiz als Fortschritt
herausgestellt. Und als einziger Garant, dass Klassen- und Kabinettsjustiz nicht mehr zurückkehren in
Österreich. Geht es nach Bandion-Ortner, ist diese Garantie Geschichte. Dann herrscht wieder die
Richterklasse. Die, die Bandion-Ortner vertritt. Anstatt Vertreterin des Volkes und seiner Verfassung zu
sein. Worauf sie einen Eid abgelegt hat.
Frau Bandion-Ortner: Dieser Vorstoß hat sie
endgültig untragbar gemacht. Treten Sie zurück!
von Christoph Baumgarten
am 23. September
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Tags: Justiz Bandion-Ortner Politik
Sonntag, 20. September
Stramm rechts
Die Landtagswahl in Vorarlberg hat einen deutlichen Rechtsruck gebracht.
Und ein Debakel für die Sozialdemokratie. Was das Ergebnis bedeutet und was aus ihm gelernt werden
kann.
Vorarlberg gilt seit jeher als anders. Es sieht sich selbst so und vor bzw.
hinter dem Arlberg, je nach Perspektive, schüttelt man oft den Kopf über die allemannisch sprechenden
Landsleute. Wobei Häufigkeit und Heftigkeit des Kopfschüttels sich direkt propotional dazu verhalten, wie
weit links sich jemand im politischen Spektrum sieht. Kein Bundesland hatte je so satte rechte Mehrheiten.
Nicht einmal Kärnten, das in Bezug auf Sonderfall-Verdacht Vorarlberg durchaus ähnlich ist. Was allein das
Wahlergebnis nur unzureichend erklärt.
http://www.orf.at/090920-42742/index.html
Knapp
aber doch hat die ÖVP mit Spitzenkandidat Herbert Sausgruber die absolute Mehrheit verteidigt. Was der
"Volks"partei sicher half, war die deutliche Abgrenzung von den antisemitischen Rülpsern Dieter Eggers,
des freiheitlichen Landeschefs. Sausgrubers deutliches Nein hat ihm Wählerinnen und Wähler eher
zugetrieben als abspenstig gemacht. Kleinere Gruppierungen wie die "Gsiberger" konnten von dieser
Entwicklung kaum profitieren. Von einem Einzug in den Landtag sind sie weit entfernt. Für einen
Achtungserfolg hat es aber gereicht.
Ein Viertel der Vorarlbergerinnen und Vorarlberger hat
offenbar kein Problem mit antisemitischen Parolen im Wahlkampf. Eggers Sager vom "Exiljuden", der still
sein solle, hat sie nicht davon abgehalten, die FPÖ zu wählen. Das als Duldung dieser Sager zu
interpretieren, ist zulässig. Das macht ein Viertel der Vorarlberger nicht automatisch zu Antisemiten.
Aber zu Duldern und Unterstützen von Antisemiten. Viele, wahrscheinlich die meisten, haben die FPÖ nicht
wegen der Aussagen Eggers gewählt sondern trotzdem. Jemand, der ein Problem mit den Aussagen hatte, hatte
genügend Alternativen. Bleibt die Frage, inwiefern sich der vergleichsweise seriöse Wirtschaftsflügel der
Vorarlberger Blauen durchsetzt. Dem liegt viel an einem Landesratsposten. Nur müsste man Egger loswerden,
um den zu kriegen. Und der hat seit seinem Sager die Unterstützung der Bundes-FPÖ. Mit dem Wahlerfolg im
Rücken sowieso.
Die Vorarlberger SPÖ ist abgestürzt und seit dem Sonntag de facto nicht mehr
vorhanden. Das liegt teilweise auch an ihr. Vorschläge, Lebensmittelgutscheine an Arme zu verteilen, sind
zurecht nicht honoriert worden. Andererseits ist die SPÖ in Vorarlberg seit jeher eine politische
Randerscheinung. Die Bundespartei gibt ihr den entsprechenden Stellenwert und den engagierteren
Mitgliedern gerne mal politisches Asyl. Aus Sicht der Sozialdemokratie ist Vorarlberg Emigrationsgebiet.
Seit Sonntag vermutlich umsomehr. Gleichzeitig wird man einen bundespolitischen Trend nicht abstreiten
können. Das Debakel in Vorarlberg ist die jüngste Wahlniederlage der Ära Werner Faymann. Hier kein Muster
zu sehen ist Realitätsverweigerung fortgeschrittenen Grades.
Die Spitze der SPÖ tut sehr
viel, um das nach Möglichkeit nicht zu ändern. Man lässt zu, dass auch sozialdemokratische Erfolge in der
Regierungsarbeit (ja, die gibt es) von der "Volks"partei reklamiert werden. Wenn man sie nicht ganz
geheimhält. Als treibende Kraft in der Bundesregierung erscheint die ÖVP. Sie bremst und bremst und
bremst. Siehe Mindestsicherung. Siehe Homo-Ehe. Siehe Schulreform. Die SPÖ-Regierungsmitglieder haben dem
vor lauter Angst, eine harte Position könnte als "Streit" empfunden werden, wenig entgegenzusetzen. Den
Erfolg dieser Politik sieht man in Vorarlberg. Die SPÖ stürzt ab. Der einzig mögliche Ausweg könnte auch
als Slogan für die nächsten Wahlen dienen: Genug gekuschelt!
von Christoph Baumgarten
am 20. September
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Tags: Vorarlberg Wahl Landtag ÖVP FPÖ SPÖ Antisemitismus
Samstag, 19. September
Der Kreide frisst
Er kann auch anders. Wenn rassistisches Poltern nicht
opportun ist, kann ein Bumsti Strache auch eine weiche Seite zeigen. Geschehen im Interview mit der
Wochenende-Ausgabe des "Standard". Wenn man Joana Adesuwa Reiterer gegenüber
sitzt, die aus Nigeria stammt und versucht, Zwangsprostituierten zu helfen, kann man mit rassistischen
Tiraden nur verlieren. Das versteht sogar ein Bumsti Strache. In seinem gewohnt lockeren Umgang mit dem,
was man gemeinhin als Wahrheit bezeichnet, macht er eine Kehrtwende in zentralen Ideologiefragen. Was
erleichtert wird durch die Tatsache, dass Strache wie üblich unbelastet von jeglichem Faktenwissen in die
Diskussion geht.
STANDARD: Ich darf Ihnen Frau Reiterer vorstellen, sie ist Gast bei
unserem Spätsommergespräch. Frau Reiterer kommt aus Nigeria. Was wissen Sie über Nigeria?
Strache: Dass es ein diktatorisches Land ist, das große wirtschaftliche Schwierigkeiten hat, dass
Stammesfürsten einander bekämpfen und viele Menschen mit großen Problemen leben - was auch der Grund
ist, warum viele Menschen auch immer wieder den Weg zu uns suchen.
Reiterer: Diktatur? Eigentlich
nicht. Nigeria ist eine Demokratie.
Strache: Aber es gab doch einen großen Wahlbetrug, oder?
Reiterer: Das schon, und es gibt auch ein gravierendes Korruptionsproblem. Aber dennoch ist es eine
Demokratie. http://derstandard.at/1252771700858/Der-Standard-Sommergespraech-Ich-will-keine-auf-unseren-Strassen-haben
Bemerkenswert folgender Dialog:
STANDARD: Ab wann ist man für Sie ein
Österreicher?
Strache: Wenn man die Staatsbürgerschaft hat.
STANDARD: Sollte Frau Reiterer
morgen die Staatsbürgerschaft bekommen, hat Sie dann Anspruch auf eine Gemeindewohnung?
Strache:
Wenn sie die Staatsbürgerschaft hat - selbstverständlich.
STANDARD: Dann diskutieren wir auch
nicht mehr über Ausländerquoten im Gemeindebau?
Strache: Wenn ihr Mann oder ihre Kinder keine
Staatsbürgerschaft haben, dann soll bei der Anmeldung sehr wohl berücksichtigt werden, wie viele Bürger
pro Familie die Staatsbürgerschaft haben. Heute sucht einer mit Staatsbürgerschaft um eine Sozialwohnung
an - und mit ihm ziehen fünf weitere Leute ein, die keine Staatsbürgerschaft haben. Noch im ORF-Sommergespräch hatte Strache mehrere Definitionen des "echten" Österreichers dargeboten. Eine
nach dem klassischen Blut-Prinzip. Echte Österreicher sind Nachfahren deutschsprachiger Einwohner der
Donaumonarchie. Dazu eine Gesinnungsdefinition: Echter Österreicher ist man, wenn man ein "ausreichendes
Maß an Patriotismus" zeigt. Den meisten Zuwanderern mit Staatsbürgerschaft sprach er diese ab. Jetzt die
klassisch rechtstaatlich-liberale Definition.
Auf den Spuren
Adenauers? Was interessiert einen Strache sein Geschwätz von gestern? Wobei zweifelhaft
ist, dass Konrad Adenauer einen derart lockeren Umgang mit den eigenen Aussagen im Kopf hatte, als er das
Zitat prägte. Und niemand, nicht einmal die härtesten FPÖ-Anhänger, können die Realität derart verdrängen,
dass sie einem Strache das Format Adenauers zusprechen. Zumal da ja häufig eher andere historische
Vorbilder präsent sind.
Strache weiß, dass er gegen Reiterer nicht bestehen kann. Auch wenn
er wie üblich versucht, die freiheitlichen Lügen zu verpacken. Natürlich hält er Arbeitsbewilligungen für
Asylwerberinnen für kein probates Mittel im Kampf gegen Prostitution. Argumentiert wird das mit einer eher
seltsam anmutenden Logik.
Strache: Nein, im Gegenteil. Solange das Asylverfahren nicht
abgeschlossen ist und nicht feststeht, ob er als Flüchtling anerkannt wird, soll er nicht arbeiten. Bis
dahin hat er ja eine exzellente Versorgung. Sie haben selbst angesprochen, wie arm Menschen in Nigeria
sind. Bei uns kosten Asylwerber den Steuerzahler bis 1200 Euro pro Monat, wenn man Gesundheitsvorsorge,
Unterkunft, Verpflegung einrechnet.
Reiterer: 290 Euro bekommen sie, nicht mehr. Die Mehrheit
bekommt nicht einmal ausreichende gesundheitliche Versorgung. Leider vergibt
Reiterer hier die Chance, Strache darauf hinzuweisen, dass es das Arbeitsverbot ist, das Asylwerberinnen
auf den Strich treibt. Strache, der sich als Retter von Wiens Hausfrauen präsentieren will, redet jenen
das Wort, die dafür verantwortlich sind, dass junge Frauen keine andere Chance sehen als ihren Körper zu
verkaufen. Entweder ist der zu dumm das zu kapieren. Oder er hat ein Interesse daran, dass es so bleibt
wie es ist. Solche Zustände lassen sich propagandistisch aus Sicht der freiheitlichen Hetzer gut
nutzen.
Strache und die Neugeborenen Es klappt nich durchgehend mit
dem liberalen Strache, der sich weltgewandt gibt.
Strache: In Wien sind 63,7 Prozent der
Kinder, die 2008 geboren wurden, römisch-katholisch, 24,1 Prozent islamisch. Laut Demografieberechnungen
gibt es 2025 bei den Unter-14-Jährigen 50 Prozent muslimische Kinder. Die Frage ist: Will man zur
Minderheit in der eigenen Heimat werden? Neugeborene sind nicht katholisch oder
muslimisch. Sie werden dazu gemacht. Genetische Unterschiede gibt es keine. Nicht einmal ein Herr Strache
könnte am Schrei eines Neugeborenen erkennen, wer seine Eltern sind. Was dann der Unfug soll, ist
schleierhaft. Außerdem: Die Statistiken stimmen auch nicht so wirklich. Aber gut, woher soll das ein
Strache wissen?
STANDARD: Der BZÖ-Abgeordnete Ewald Stadler hat Abtreibungen mit dem
Massenmord in den KZs verglichen. Stimmen Sie ihm zu?
Strache: Naja. Wir verlieren jährlich rund
60.000 Leben, das ist, hochgerechnet über Jahre und Jahrzehnte, auch eine Katastrophe für die
Menschheit. Selten so einen Unfug gelesen. Das übertrifft sogar die Märchenstunde
der Fundis von Human Life International. Die sprechen von 30.000 Abtreibungen im Jahr. Strache muss das
toppen. Warum auch immer. Würde bei etwas unter 80.000 Geburten pro Jahr eine Abtreibungsquote von ca. 40
Prozent machen. Tatsächlich liegt sie nach seriösen Schätzungen bei 1,2 Prozent.
Der
Versuch, die Standard-Leser zu ködern Dennoch: Strache versucht sich, von einer liberalen
Seite zu zeigen. Er präsentiert sich als einer, der den Rechtsstaat respektiert und so etwas wie
Menschenrechte kennt. Ein anderer Strache als der, der am Viktor-Adler-Markt auftritt. Oder in
TV-Konfrontationen. Ein anderer Strache als der, den seine Sympathisanten in ihm sehen. Ein anderer
Strache als der, als der er seit Jahren öffentlich auftritt.
Der Anlass gebietet es. Der
Standard hat eher urbane, etwas gebildetere Leser, die etwas besser verdienen als der Durchschnitt.
Menschen, die imstande sind, die Strachesche Realtitäsverweigerung und seinen lockeren Umgang mit der
Wahrheit zu erkennen. Punkten kann er nur, wenn er sich dem Publikum etwas anpasst. Dass irgendjemand auf
den Kreidefresser hereingefallen ist, ist eher unwahrscheinlich.
Die Strategie hat einen
Vorteil: Dass seine Sympathisanten jemals von diesen Aussagen erfahren, ist ausgeschlossen. Die lesen den
Standard nicht sondern seine Poltereien in "Krone" und "Heute".
von Christoph Baumgarten
am 19. September
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Tags: Bumsti Strache FPÖ Standard Lügen Rassismus
Mittwoch, 16. September
Kein Fest ohne Rechte
Es war eine der besten
Marketing-Aktionen einer österreichischen Brauerei, an die ich mich erinnern kann. Ottakringer kauft die
ungeliebte Heinekengruppe aus und lädt in seinen Shops zum Freibier. Wenn auch aufgrund des
Massenansturms die Bierausbeute pro Person überschaubar blieb - alle Voraussetzungen zu einer gelungenen
Party wären da gewesen. Eine halbe Stunde anstellen für ein Bier. Gut. Drei.
Kleine. Wenn man so lange ansteht, lässt man sich gleich auf Vorrat einschenken. Langsam waren sie nicht
beim Ausschenken, die Mitarbeiter der Ottakringer Brauerei. Nur hatten Facebook, ORF und Co Massen in den
Shop neben der Brauerei gebracht. Vor mir vielleicht hundert Leute, vorwiegend Studentinnen und Studenten.
Drei Bier pro Person, macht 300 Bier. Oder zehn Bier pro Minute. Nicht schlecht. Nur der
Ottakringer-Mitarbeiter mit der Palette Dosen war schneller. 24 16er Blech in zwei Minuten geöffnet und
ausgeteilt. Respekt.
Es ist so etwas ähnliches wie ein Volksfest. So gelöst ist die Stimmung
selten in Wien. Mag am Durchschnittsalter liegen. Oder daran, dass viele Menschen Freunde gebracht haben.
Und, dass man Leute trifft, die man schon lange nicht gesehen hat. Einen ehemaligen Praktikanten und eine
ehemalige Praktikantin vom ORF. Einen Genossen aus dem 12. Endlich lerne ich meinen Facebook-Freund
Bernhard Kölbl kennen. Und treffe Michael Sigmund, den ich von der Vorstellung der Atheisten-Plakate auf
der Mariahilfer Straße kennen. Meine Laizismus.-Flyer gehen weg wie nix. Beim Anstellen braucht man was
zum Lesen.
Es wäre ein gelungenes
Fest gewesen. Dass es etwas getrübt wurde, lag nicht in der Verantwortung der Brauerei. Zwei
Zeltfesttische weiter haben sich Funktionäre vom RFS breit gemacht, schildern mir mehrere Leute. "Die
stänkern", sagt mir ein Genosse. "Ich hab mich weggesetzt."
Der Anführer hat am linken und am
rechten Ärmel je eine Deutschland-Flagge aufgenäht. Die Recken grölen, versuchen Stimmung zu machen. Eine
solche Gelegenheit ein paar hundert vorwiegend junge Menschen anzusprechen, darf man sich nicht entgehen
lassen. Die Sauflieder haben sie drauf, das muss man ihnen lassen. In einem gewissen Grad sogar kreativ.
"Wir scheißen auf die Brau Union", singen sie zur Melodie von "Guantanamera". Und dann: "SJ - verlorene
Jugend". Kann auch "SJ - verdorbene Jugend" gewesen sein. Der Alkohol macht die Worte nicht
verständlicher.
Den Nebentisch reißen sie mit den Trinkliedern mit. Die ebenfalls Betrunkenen
stapeln die Bierbecher so hoch auf, wie sie können. Und wenn sie können, grölen sei mit. Die
SJ-Schmählieder haben sie bald drauf. Die Parole ist nicht so kompliziert, dass sie nicht auch ein
Volltrunkener verstehen könnte. Weiter reicht der Aktionsradius der rechten Recken diesmal nicht.
Trotz Saufliedern - die meisten hier haben Lunte gerochen. Die Leute sind entweder Grün- oder
SPÖ-Sympathisanten oder haben mit Politik nichts am Hut. Zumindest heute nicht. Heute soll gefeiert
werden. So lange es noch Freibier gibt. Das Angebot ist bis kurz nach 19 Uhr beschränkt. Was angesichts
der fortschreitenden Alkoholisierung einiger keine schlechte Idee ist. Und die Schlangen vor dem Klo
werden auch nicht kürzer.
Wer nach 17 Uhr oder so gekommen ist, kommt zu kaum mehr als einmal
Bier holen. Zu dieser Gruppe gehöre ich. Andererseits: Bis jetzt war's mit Ausnahme der zugegebenermaßen
immer lauter werdenden Blauen sehr nett. Man übersieht die Zeit. Sieben ist vorbei. Wir werden freundlich
aber bestimmt über die Hofeinfahrt hinausgebeten.
Und wieder ein
Hitler-Gruß Am Gehsteig steht der RFS-Trupp. Der Anführer grinst. Es werden sich ein,
zwei Neue angeschlossen haben. Ein roter Kleinwagen fährt vorbei. Offenbar mit Blauen auf dem Heimweg. Der
Bursche, der links neben dem Anführer gesessen ist und jetzt auch neben ihm steht, streckt den Arm zum
Hitler-Gruß aus, versucht eine militärische Haltung einzunehmen und grinst. Ein Missverständnis ist das
nicht. Fünf Bier kann er nicht bestellen. Die Schank hat zu. Und zum Winken ist der Arm eine Spur zu steif
und ein paar Sekunden zu lange oben. Offen. Kein Genierer. Der Anführer grinst weiter. Kein Wort der
Zurechtweisung, keines der Distanzierung. Offene Duldung. Anders kann man das nicht interpretieren. Der
rote Kleinwagen fährt weiter. Der Nebenmann lässt den Arm wieder sinken. Die RFS'ler gehen ihrer Wege. Als
hätte nicht gerade ein Gruppenmitglied offen gegen das österreichische Strafrecht verstoßen. Der
Armstrecker, so erzählt mir ein Bekannter, sei ebenfalls im RFS aktiv. Ich kann diese Information bislang
weder bestätigen noch dementieren. Der RFS stellt die Bilder seiner Funktionäre so gut wie nicht ins
Internet.
Ein Schelm, wer denkt, derartige Vorkommnisse seien in diesen Kreisen alltäglich
oder würden schlimmstenfalls als lässliche Fehler betrachtet. Im Zweifelsfall redet man sich immer auf
"linke Provokateure" aus, hat drei oder wahlweise fünf Bier bestellt oder wurde Opfer widriger Umstände.
Wie bei der Abschlusskundgebung der Blauen zum
EU-Wahlkampf am Viktor-Adler-Markt. Oder in Graz. Oder in
Linz. Jetzt auch in Ottakring. Das hab ich gebraucht zu meinem Glück. Danke, Herr Strache.
von Christoph Baumgarten
am 16. September
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Tags: Ottakring Ottakringer Brauerei Freibier RFS Hitler-Gruß Strache FPÖ
Das schwarze Loch
Sozialdemokratische Grundhaltungen
scheinen bei der Regierungsklausur in Salzburg bei einigen Belangen verschwunden zu sein. Beim
Fremdengesetz ist der humanistische und aufgeklärte Unterbau gleichsam von einem schwarzen Loch
verschluckt worden. Keine Sternstunde der heimischen Sozialdemokratie. Österreichs
Fremdenrecht ist ein System absoluter Willkür gemildert durch absolute Schlamperei. Nicht zuletzt der tote
Schubhäftling in Wien dokumentiert, wie weit die Willkür geht. Wobei Fälle von Menschen, die seit Jahren
in diesem Land leben und von einem Tag auf den anderen abgeschoben werden, Zweifel laut werden lassen, ob
die Schlamperei die Willkür mildert oder auf eine zynische Spitze treibt.
Das genügt offenbar
nicht. Angetrieben von Fekterschen Bestrafungsfantasien und schwarzem Populismus hält es auch die SPÖ für
notwendig, die Menschenrechte im heimischen Fremdenwesen noch ein bisserl zu entsorgen. Noch mehr
Schubhaft. Noch mehr und noch härtere Strafen für Verwaltungsübertretungen. Und medizinische
Untersuchungen, deren Sinn jeder Arzt bezweifelt. Nur Maria Fekter (ÖVP) nicht. Aber der sind Überlegungen
irgendwelcher Art bekanntlich egal, wenn sie mal einen Standpunkt hat. Und die Sozialdemokratie stimmt zu.
Ohne Not. Ohne, dass es einen objektiven Grund gebe, das Fremdenrecht zu verschärfen.
Es gibt
weder signifikant mehr Asylwerber als vor zehn Jahren noch sind die als Gruppe in irgendeiner Form
bedrohlicher geworden oder lästiger. Noch ist Österreich das Zielland der meisten dieser Menschen. Sie
wollen meist weiter in Länder, wo sie Verwandte haben, deren Sprache sie sprechen, kurz: Wo sie schneller
sozialen Anschluss finden als hier. Dass Österreich vergleichsweise viele Asylwerber abbekommt, liegt
daran dass die Schlepperrouten aus Osteuropa über dieses Land verlaufen. Zahlreiche Menschen stranden hier
oder werden von ausbeuterischen Schleppern einfach ausgesetzt. Und sei es mitten auf der
hochwasserführenden March. Alles schon passiert.
Wie man dem mit einem noch schärferen
Fremdenrecht beikommen will, ist schleierhaft. Aslywerber und Schlepper haben andere Dinge zu tun als den
ganzen Tag österreichische Fremdengesetze zu studieren.
Sicher, es gibt Missstände. Dass
jemand Asylwerber ist, macht ihn oder sie auch nicht zum guten Menschen. Unabhängig vom Asylgrund sind das
verzweifelte Menschen. Das österreichische Fremdenrecht hat nichts anderes zu tun als diese Verzweiflung
zu verstärken. Arbeiten dürfen Asylwerberinnen und Asylwerber nicht. Außer am Strich. Und ein paar
Gelegenheitsjobs sind erlaubt. Welch Perspektive. Dafür die ständige Perspektive, in Schubhaft gesteckt zu
werden. Die geplante Novelle weitet die Willkür in diesem Bereich erheblich aus. Gepaart ist das mit einer
Behörde, die am laufenden Band negative Bescheide ausstellt, die zum Großteil von übergeordneten Instanzen
aufgehoben werden.
Asylwerber, hat man den Eindruck, stehen unter dem Generalverdacht, sich
ein Bleiberecht erschleichen zu wollen. Das trifft sicher auf einige zu. Nur geben die bestehenden Gesetze
den Behörden eine ausreichende Handhabe gegen sie. Einer weiteren Verschärfung bedarf es nicht. Die trifft
nur die Menschen, die zu traumatisiert sind oder über zu wenig Bildung verfügen um sich gegen die Willkür
des Systems wehren zu können.
Dass die Sozialdemokratie einer solchen Verschärfung zustmmt,
ist eine Schande. Nicht nur, dass sie ihre eigenen humanistischen Grundpositionen einfach entsorgt. Sie
besorgt auch das Geschäft der FPÖ. Die trommelt seit Jahren:
Asylwerber=Sozialschmarotzer=Schwerverbrecher. Wer laufend Asylgesetze verschärft, gibt der FPÖ Recht und
gräbt ihr nicht das Wasser ab, wie manche meinen. Um einen Vergleich zu wagen, den manche als überzogen
empfinden werden: Das ist so, als hätten die demokratischen Kräfte der Weimarer Republik Teile der
Nürnberger Rassengesetze beschlossen um der antisemitischen Hetze der Nazis Einhalt zu gebieten. Kein
Historiker würde ernsthaft behaupten, dass das die braunen Horden gestoppt hätte.
Nein, das
soll nicht öffentlich die FPÖ mit der NSDAP gleichsetzen. Hier geht es darum, auf vielleicht überspitzte
Art Diskursstrukturen aufzuzeigen, die von politischen Kräften am rechten Rand eines politischen Spektrums
bestimmt werden. Dass sich die SPÖ sehenden Auges auf dieses Spiel einlässt, und das nicht erst seit der
Salzburger Regierungsklausur, ist eine moralische und intellektuelle Bankrotterklärung. Nicht nur
widerspricht die Zustimmung sozialdemokratischen Grundüvberzeugungen. Es ist auch politischer Selbstmord.
Es ist ein Lakaiendienst an der ÖVP, die mit soclhen Manövern das politische Spektrum noch ein bisschen
weiter nach rechts verschieben will. Wovon niemand anderer profitieren wird als die FPÖ. Das Gegenteil
dessen, was eine sozialdemokratische Partei im Auge haben sollte.
von Christoph Baumgarten
am 16. September
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Tags: Asyl Asylwesen Fremdenrecht SPÖ FPÖ ÖVP Regierungsklausur
Dienstag, 15. September
Der Falschmelder
Erschütternde Neuigkeiten hat das Land über den Inder erfahren, der in der
Schubhaft nach einem Hungerstreik gestorben ist. Den GutmenschInnen verschlägt's die Sprache ob der
ungeheuerlichen Vorwürfe, die gegen den Inder erhoben werden. Sie lassen den Tod des Menschen nachgerade
als Beweis für die humanen Fremdengesetze erscheinen.
Falschmelder, schreit das
Land! Falschmelder! Eine schwerere Anklage lässt sich kaum vorbringen im Land der Anständigen und
Ehrlichen, deren Prototyp Susanne Winter ist. Falschmelder!
Der Inder hat falsche Angaben
gemacht, als er um Asyl ansuchte. Und noch dazu stand er mit diesen falschen Daten im Melderegister! Lässt
sich etwas ungeheuerlicheres denken als das? Ein feiger, ein hinterhältiger Anschlag auf diesen
ordentliche, auf dieses brave Land. Ein tödlicher Schlag gegen den sonst so gut funktionierenden
Rechtsstaat. Als Zeugen für diesen führe man den Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler ins Land.
Dass der Mann falsche Angaben machte, um im Westen bleiben, Armut und Elend zuhause entfliehen und
seiner Schwester ein Studium ermöglichen zu können, beweist alles. Noch dazu hat er, wie die ganz
unbefangene Polizei sagt, schwarz gearbeitet. Das schlägt dem Faß den Boden aus. Der hinterhältige Geselle
war zu allem fähig. Ein gemeingefährlicher Schwerverbrecher. Womöglich hat er noch das Religionsbekenntnis
auf dem Meldezettel weggelassen! Solchen Menschen ist alles zuzutrauen.
Wäre er wegen Mordes
angeklagt gewesen, das allein hätte als Beweis seiner Schuld genügt. Noch dazu, wo er eines weit
abscheulicheren Verbrechens überführt wurde: Hier bleiben zu wollen! Wahrlich, so ein Mensch verdient den
Tod, denkt sich das anständige und ehrliche Österreich. Und etwas weiß der wehrhafte Kleinbürger: Wer alt
genug ist, um illegal einzuwandern, ist alt genug zum sterben.
Natürlich hält die
wohlmeinende, unbefangene, Polizei mit diesen Informationen hintern Berg. Unsere Exekutive würde nie
öffentlichen Rufmord betreiben, um von einem möglichen eigenen Versagen abzulenken. Bei den Jugendlichen
von Krems hat man das ja auch gar nicht getan. Dass das Vorstrafenregister des Überlebenden an die
Öffentlichkeit gelangte, war reiner Zufall. Vermutlich zutage gefördert von dem Informanten dieses
Falter-Journalisten Florian Klenk. Man weiß ja, was von diesen Menschen zu halten ist. Diese
GutmenschInnen wollen den Anständigen und Ehrlichen und manchmal den Beschränkten nur den Spaß am Leben
nehmen und sie herunterziehen. Feinde des gesunden Volksempfindens. Wenn die Anständigen und Ehrlichen
sich endlich gegen die GutmenschInnen durchgesetzt haben, wenn der wehrhafte Kleinbürger triumphiert, wird
sich schon wieder ein eiserner Besen finden, Wenn sich das erlaubte Unverständnis Bahn bricht, haben sie
jedes Recht verwirkt.
Falschmelder, schreit das Land. Falschmelder! Fürwahr, eine
erschütternde Erkenntnis. Getätigt von jenen, die ganz sicher das nötige Verständnis und das nötige
Mitgefühl haben, um sich in einen Inder hineinzuversetzen, der nach fünf Wochen Hungerstreik gestorben
ist. Wobei er auch das, wie der wehrhafte Kleinbürger weiß, zu Fleiß gemacht hat um diesem schönen Land zu
schaden. Nur damit unsereins wieder als Nazi dasteht im Ausland, das sich eh nicht auskennt. Zu bequem ist
er gewesen fürdie Schubhaft.
Der Hungerstreikt - ein Klacks, sowas, weiß der Anständige und
Ehrliche. Man hat hierzulande ja so viel Übung beim Hungern. Man weiß ja, wie das ist. Wer's zwischen dem
Mittag- und dem Abendessen aushält, der schafft das locker auch fünf Wochen. Aber diese Ausländer sind ja
so bösartig und lassen sich gleich haftunfähig schreiben. Wo's ihnen so gut geht bei uns. Wo sie von uns
erhalten werden. Wo die Schubhaft der reinste Erholungsurlaub ist. Undankbares G'sindel. Und gemein
obendrein. Zu Fleiß ist er gestorben, der Inder. Den wehrhaften Kleinbürger kann das nicht erschüttern.
War schließlich ein Falschmelder, der hinterhältigste aller Verbrecher. Denen ist alles zuzutrauen.
von Christoph Baumgarten
am 15. September
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Tags: Schubhaft Asylwerber Tod Meldewesen Kleinbürger
Unter Aufsicht verhungert?
Ein 20-jähriger Inder ist in der Schubhaft in Wien gestorben. Nach einem
fünfeinhalb Wochen langen Hungerstreik. Der Amtsarzt sieht keinen Zusammenhang. Die Rechtsparteien
versuchen vom Tod des jungen Mannes zu profitieren.
Der junge Mann hat ein
Verwaltungsgesetz übertreten. Als der Asylantrag des damals Minderjährigen scheiterte, ist er 2006
untergetaucht. Ein Verstoß gegen das Meldegesetz und die Nicht-Erfüllung einer behördlichen Auflage, das
Land zu verlassen. In den Augen des Fremdenrechts und der Polizei genug, um ihm einzusperren. Ohne Urteil.
Auf unbestimmte Zeit. Mit unklarem Ziel. Schubhaft bedeutet nicht automatisch, dass ein Mensch abgeschoben
werden soll.
Das war vor sechs Wochen. Ein paar Tage danach begann der junge Mann Nahrung zu
verweigern. Unterbrochen wurde der Hungerstreik offenbar durch gelegentliche Nahrungsaufnahme. Nicht
genug, um sein ursprüngliches Gewicht auch nur annähernd zu halten. Er magerte stark ab. Fünfeinhalb
Wochen später war er tot. Der Amtsarzt sieht "keinen Zusammenhang". Übergeordnete Stellen sind da nicht so
sicher. Die Leiche wird obduziert.
Ein 20-jähriger Mann stirbt nicht so einfach. Dass es
einen Zusammenhang mit seinem Hungerstreik gibt, liegt nahe. Das vermutet auch die "Volks"partei. Deren
Generalsekretär Fritz Kaltenegger schreibt in einer Presseaussendung: "Der Tod des indischen
Schubhäftlings hätte durch die Maßnahme der Zwangsernährung verhindert werden können." Der junge
Mann ist unter Aufsicht verhungert, zeigt sich Kaltenegger überzeugt. Auf die Idee, das System Schubhaft
infrage zu stellen. kommt er nicht. Man muss es nicht humaner machen. Zwangsernähren lautet seine Lösung.
Ähnlich erste Reaktionen der FPÖ, die versuchen, den Tod des 20-Jährigen zu einem tragischen Einzelfall zu
machen.
Hungerstreik als einziger Ausweg
Diese Aussagen unterstellen
dem 20-Jährigen, er sei aus reiner Bequemlichkeit in den Hungerstreik getreten. Wahrscheinlich war er um
seine Linie besorgt. Und "freipressen" wollte er sich.
30 Prozent aller Schubhäftlinge treten
in Hungerstreik. Die einzige Protestmaßnahme gegen eine Maßnahme, die Menschenrechtsexperten als inhuman
beschreiben. Schubhäftlinge werden schlechter behandelt als Strafgefangene. Sie werden ohne Urteil
festgenommen. Wegen einer Verwaltungsübertretung. Umgelegt auf einen österreichischen Staatsbürger wäre
das so, als könnte man auf unbestimmte Zeit eingesperrt werden, weil man bei Rot über eine Ampel gefahren
ist oder eine falsche Angabe im Melderegister gemacht hat.
Schubhaft ist ein sehr willkürlich
eingesetztes Instrument. Man denke an den Fall eines österreichischen Staatsbürgers mit afrikanischen
Wurzeln, der in Wien tagelang n Schubhaft saß. Der geistig verwirrte junge Mann konnte beim ersten Kontakt
mit der Polizei keine Angaben machen, wer er sei. Auf Verdacht wurde er in eine Zelle gesteckt. Die
Arbeit, nachzufragen, wen man da eingesperrt hatte, machte man sich nicht. Wird schon den richtigen
getroffen haben. Hätte sich das Fall nicht aufgeklärt, der Jugendliche wäre entweder auf Verdacht nach
Afrika abgeschoben worden oder hätte Monate in einer Zelle verbringen müssen. In U-Haft oder geschlossene
Verwahrung kann man Menschen nicht so einfach stecken.
Dass jemand automatisch abgeschoben
wird, der in Schubhaft genommen wird, ist nebenbei falsch. Ursprünglich mag Schubhaft diesen Zweck gehabt
haben. Mittlerweile ist es mehr ein Disziplinierungsinstrument. Menschen werden eingesperrt und niemand
sagt ihnen, wie lange und wozu sie hier sind. Das trifft auch Menschen, die man aufgrund der gesetzlichen
Bestimmungen nicht abschieben darf. In der Heimat würde ihnen Folter oder Tod drohen. Der Kontakt zur
Außenwelt ist eingeschränkt, sinnvolle Tätigkeiten gibt es so gut wie nicht. Der so genannte offene
Vollzug in der Schubhaft ist eine neue Einrichtung. Erst seit kurzem dürfen Schubhäftlinge untertags
wenigstens ihre Zellen verlassen. Ein schwacher Trost. Im Vergleich zu einer Untersuchungshaft sind die
Möglichkeiten, gegen die Inhaftierung vorzugehen, stark eingeschränkt.
Was Wunder, dass ein
guter Teil der Betroffenen in Hungerstreik tritt. Sie tun das vermutlich nicht, weil es ihnen so gut
gefällt. Sie haben nur kaum andere Möglichkeiten sich zu wehren. Ihnen das zum Vorwurf zu machen, wie das
die FPÖ unterschwellig tut, ist letztklassig. Lieber sollte man überlegen, wie man die Schubhaft verändern
kann. So, dass sie ein zielgerichtetes Instrument wird. Es ist rechtsstaatlich in Ordnung, Menschen, die
unmittelbar vor einer Abschiebung stehen, einzusperren, wenn das der einzige Weg ist, sicherzustellen,
dass man sie abschieben kann. So wie man manche Menschen in Untersuchungshaft nehmen muss, um
sicherzustellen, dass sie nicht vor ihrem Strafprozess davonlaufen. Das jetzige Schubhaftsystem hat nur
denkbar wenig damit zu tun.
von Christoph Baumgarten
am 15. September
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Tags: Asyl Asylwerber Schubhaft Inder ÖVP FPÖ Menschenrechte
Sonntag, 13. September
Rechts von der FPÖ
Rechts von der FPÖ darf kein Platz sein,
sagt Bumsti Strache in einem Interview mit der Austria Presse Agentur. Dass rechts auf legalem Weg kein
Platz sein kann, belegt er mit eigenen Aussagen. Und ungewollt belegt er auch: Österreichs Rechte und
die Kirche arbeiten einander eifrig zu. Im Interview mit der APA greift Strache
die beiden aktuellen Lieblingsthemen der österreichischen Rechtsparteien auf. Fristenlösung und
Wehrmachtsdeserteure. Wenig überraschend ist er gegen beide. Die Lösung, dass Frauen innerhalb der ersten
drei Monate einer Schwangerschaft straffrei eine Abtreibung vornehmen lassen können, hält er für "nicht
unbedingt rechtskonform". Er tritt für verpflichtende Beratungen und Bedenkfristen ein. Ähnliches hatten
Teile der ÖVP zuletzt gefordert. Ärzte sehen in solchen Auflagen unzumutbare Hürden.
Und
ähnlich wie Christoph Schönborn fordert er so genannte "flankierende Maßnahmen". So weit wie die Fundis
der "Christen" und von HLI, die Abschaffung der Fristenlösung zu fordern, geht er nicht. Aber er wird
deutlich genug. "Es steht alles zur Diskussion. Man kann über alles diskutieren und soll auch über alles
diskutieren." So sieht das Verständnis der selbst ernannten Partei der "kleinen Leute" für die Nöte der
angeblichen Klientel aus. Es ist diskutabel, Frauen vor Gericht zu stellen, die in ihrer Not keinen Ausweg
sehen als den Schwangerschaftsabbruch. Die Engelmacherin vom Diamantengrund lässt grüßen.
Erinnerung an Kampl Und kein Law and Order-Politiker kommt aus, ohne seine
prinzipielle Abscheu vor Wehrmachtsdeserteuren auszudrücken. Wozu lässt man sich auch bei einem Pfarrer
firmen, der den Zweiten Weltkrieg für einen gerechten Verteidigungskrieg hält und Franz Jägerstätter mehr
oder weniger für einen Vaterlandsverräter.
Ähnlich wie Siegfried Kampl 2005 schwafelt Strache
von Deserteuren, die auch Kameraden erschossen hätten. Was in seinen Augen eine Rehabilitierung der
Menschen unmöglich macht, die vor einer unmenschlichen Armee und einem verbrecherischen Krieg flüchteten.
So gut wie immer unter Lebensgefahr. Oft die einzige Möglichkeit des Widerstandes. Diese Männer verdienen
unsere Anerkennung. Strache diffamiert sie. Wie viele Ewiggestrige diese Männer bis heute
diffamieren.
"Die Diffamierungsversuche von FPÖ-Parteichef Strache, Deserteure zu
Mördern und Kameradenschweinen zu machen, sind eine Frechheit und eine unerhörte Anmaßung jenen Menschen
gegenüber, die ihre Entscheidung, in Hitlers Vernichtungsfeldzug nicht mehr mitzumarschieren, mit dem
Leben bezahlt haben," sagt Richard Wadani Wehrmachtsdeserteur und Sprecher des Personenkomitees
"Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" gegenüber ORF.at.
http://www.orf.at/ticker/341124.html
Deutlicher kann man das nicht formulieren. Deutlich auch
die Proteste von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ). Rechts von Strache ist wahrlich kein Platz
mehr. Zumindest nicht für Menschen, die die heimischen Gesetze respektieren.
Thematische Angleichung mit Teilen der ÖVP Gleichzeitig wird ein Eklat bei der
Waldviertel-Akademie bekannt, der zeigt, wie weit Kreise der ÖVP und FPÖ thematisch übereinstimmen. Wie
die Zeitschrift "akin" berichtet, hat dort die ÖVP-nahe Publizistin Astrid Meyer-Schubert mit
rassistischen Sagern mehrere Teilnehmer einer Podiumsdiskussion zum Verlassen des Saales gebracht.
http://akin.mediaweb.at/2009/20a/20a_wald.htm
Thomas Schmidinger, einer der Teilnehmer, der
erbost den Saal verließ bestätigt gegenüber Politwatch die Ereignisse. "Meyer-Schubert hat unter anderem
gemeint, Muslime hätten keine Freiheitsvorstellung und Muslime in Europa müssten zwangskonvertieren oder
sich assimilieren. Das ist eindeutig rassistisch". Meyer-Schuberts Argumentationslinie unterscheidet sich
in nichts von der Susanne Winters. Jener FPÖ-Abgeordneten, die wegen Verhetzung verurteilt wurde. Und
ähnlich wie Strache versucht sie, Freiheit, Frauenrechte und Demokratie als vom Christentum erkämpft
darzustellen. Schmidinger: "Das ist historischer Unfug."
Meyer-Schubert wurde der
Waldviertel-Akademie nicht von der FPÖ empfohlen. Es war laut "akin" die politische Akademie der ÖVP, die
die Publizistin mit Verbindungen zum Dominikaner-Blatt "Neue Ordnung" der Veranstaltungsreihe ans Herz
legte. Die Argumentationen Meyer-Schuberts hört man in manchen ÖVP-nahen Kreisen immer wieder. Auch bei
den "Christen", wo etliche Mitglieder parallel auch der ÖVP angehören. Deren Wiener Obmann Klaus Pekarek
etwa wurde schon von der ÖVP bei Wahlen aufgestellt.
Und natürlich: In Law and Order-Fragen
sind FPÖ und ÖVP ein Herz und eine Seele. Zwischen Innenministerin Maria Fekter und Strache passt in der
Hinsicht kein Blatt. Bei allen Übereinstimmungen: Dass die VP-Akademie um Meyer-Schuberst Positionen
wusste, als sie sie der Waldviertel-Akademie aufs Auge drückte, ist eher fraglich. Vermutlich hat man bei
der VP-nahen Publizistin einfach nicht recherchiert, bevor man sie weiterempfahl.
von Christoph Baumgarten
am 13. September
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Tags: FPÖ. ÖVP Deserteure Fristenlösung Strache
Donnerstag, 10. September
Kirchlicher Humor
Für kirchliche Verhältnisse ist der "Pfaffenheini" nahezu revolutionär. Er
nützt das Internet. Inhaltlich ist Christian Sieberer eher weniger modern.
Der
Pfaffenheini ist Exorzist und auf Gloria.tv unterwegs, dem qualitativ wie inhaltlich eher unfreiwillig
komischen Internetkanal der heimischen Fundiszene. Und hat natürlich seine eigene Homepage.
http://www.pfaffenheini.net
Dort bietet er alle möglichen "Informationen" an. Dass Exorzismus
gut ist, zum Beispiel. Nur nichts den Psychotherapeuten überlassen, wie wirklich Probleme lösen könnten.
Oder zu Sexsucht. Wobei die Frage gestattet ist, woher das ein katholischer Pfarrer kennen will. Da kommt
mir ein Satz von Blinden und Farbe in den Sinn. Dass er mit radikalen Abtreibungsgegnern gemeinsame Sache
macht, versteht sich bei dieser Ausgangslage von selbst.
Als "moderner" Pfarrer muss er
dieser Spaßgesellschaft Tribut zollen, von der er einmal reden gehört hat. Humor darf nicht fehlen. Ein
Beispiel liefert er hier.
Audio-Pfaffenheini (mp3, 2,036 KB)
http://www.gloria.tv/?media=32479
Immerhin hat er keine Scheu davor, sich lächerlich zu
machen. Gut, er wird sich dessen nicht bewusst sein. Die Fähigkeit zur Selbstironie ist Menschen mit
Reflexionsbegabung vorbehalten. Man würde sich aber wünschen, es gebe mehr Pfarrer von seiner Sorte. Dann
würde sich die katholische Kirche als gesellschaftlicher Machtfaktor sehr schnell von selbst erledigen.
von Christoph Baumgarten
am 10. September
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Christlich und sozial
Die niederösterreichische "Volks"partei präsentiert sich wieder mal von
ihrer Schokoladenseite. Soziallandesrätin Johanna Mikl-Leitner zeigt, was man im Reich unter Giebelkreuz
und Glatze unter Sozialpolitik versteht.
Geben ist seliger denn nehmen. Vor allem
für Menschen am sozialen Rand der Gesellschaft. Dann kommen sie ins Himmelreich. Das ist würdig und recht,
denkt sich die niederösterreichische "Volks"partei. Christlich und sozial, wie man ist in Pröllistan, tut
"Sozial"landesrätin Johanna Mikl-Leitner alles, um zu verhindern, dass man von der bedarfsorientierten
Mindestsicherung leben kann.
Der burgenländische Landeshauptmann Hannes Niessl (SPÖ)
versucht, eine Front der Bundesländer aufzubauen, die durchsetzt, dass die 733 Euro im Monat 14-mal
ausbezahlt werden. Nicht 12-mal, wie es die "Volks"partei durch Blockadehaltung auf Bundesebene erreicht
hat. Die gleiche Blockadehaltung legen bei den laufenden Verhandlungen die schwarzen Bundesländer an den
Tag. Allen voran Niederösterreich, das sich so gerne als soziales Musterland präsentieren würde.
http://www.politspiegel.at/?p=1627
Mikl-Leitner lässt auch mit ihren Rechenbeispielen
aufhorchen. Es ist ein Humbug, dass die zwölfmalige Auszahlung eine Schlechterstellung
bringt. Bei 1.466 Euro weniger im Jahr als bei der angepeilten Auszahlung ein Beispiel kreativer
Mathematik. Leuchtet jedem sofort ein. Gut, keine Spezialität der ÖVP. Das BZÖ Kärnten behauptet auch
ständig, das Bundesland sei eine wirtschaftliche Musterregion und gar nicht verschuldet.
Nein, sagt Mikl-Leitner, es gebe ja das Verschlechterungsverbot. An das werde man sich ganz sicher halten.
So sicher wie der Autocluster bei Kottingbrunn eingerichtet wurde. Oder man sich darum bemüht hat, die
Arbeitsplätze der Glanzstoff in St. Pölten zu retten. Und sicher wird die Überprüfbarkeit so transparent
wie die Untersuchungen nach dem Tod von Florian P. in einem Kremser Supermarkt.
Nicht nur
Politwatch ist skeptisch. Im "Standard" äußert Diakonie-Sozialexperte Martin Schenk laute Zweifel: „Nach
der jetzigen Regelung käme es nach meinen Berechnungen in mindestens fünf Bundesländern zu
Verschlechterungen, die müssten dann von den Ländern übernommen werden. Ob sie das tun, ist fraglich.” Die
Verkürzung von 14 auf zwölf Auszahlungen bringe ohnehin maximal 10 bis 20 Millionen Euro Einsparung.
Ein Klacks für die Bundesländer. Für die Menschen, die auf die Mindestsicherung angewiesen sind,
dringend notwendig. Und weiß irgendjemand, wie viele Milliarden Euro die Republik Österreich schon ins
Bankensystem gesteckt hat? Wo, wie immer betont wurde, keine einzige systemrelevante Bank in diesem Land
gefährdet war?
Geben ist seliger denn nehmen. Die Armen müssen solidarisch sein mit "der
Wirtschaft". Das Credo schwarzer Wirtschafts- und Sozialpolitik. Gibt man ihnen mehr, sind sie vielleicht
nicht mehr bereit, sich um jeden Preis ausbeuten zu lassen. Das hat Finanzminister Joseg Pröll (ÖVP)
jüngst gesagt. Zugegebenermaßen etwas charmanter formuliert. Soll niemand merken, worauf es der
christlich-sozialen Partei ankommt. Staatlich unterstütztes Lohndumping. Soll ja kein Unternehmer in
Verlegenheit kommen, seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anständig bezahlen zu müssen. Was passieren
würde, wenn es Sozialleistungen gebe, von denen man leben könnte.
Teufelszeug auch, so ein
Sozialstaat. Wenn die Armen nehmen könnten statt den Satten geben zu müssen, kriegt man sie nicht mehr ins
Himmelreich. Jedenfalls nicht mit der gleichen Geschwindigkeit.
von Christoph Baumgarten
am 10. September
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Tags: Mindestsicherung ÖVP "Volks"partei Niederösterreich Mikl-Leitner Pröll
Mittwoch, 9. September
Kläffender "Dobermann"
Ewald Stadler,
Nationalratsabgeordneter des BZÖ, kläfft wieder. In der morgen erscheinenden Info-Illustrierten zieht
der früher als "Dobermann" berüchtigte Politiker einen Vergleich zwischen Fristenlösung und
NS-Regime. „Ich halte es mit Bischof Andreas Laun, der gemeint hat, moralisch
führen die gleichen Gleise zur Abtreibung und in die Vernichtungslager der Nazis“, sagt Stadler in
„News“.
http://www.politspiegel.at/?p=1608
Ein ungustiöser Vergleich, an Absurdität
kaum zu überbieten. Es bedarf katholisch-metaphysischer Logik, um irgendeine Ähnlichkeit zwischen dem
Recht der Frau auf den eigenen Körper und dem NS-Regime zu erkennen. Auch auf welch abstruser moralischen
Ebene auch immer sich Stadler und Konsorten bewegen mögen. Ein jeder Jesuit würde den Abgeordneten
auslachen. Würden Vergleiche wirklich an den sprichwörtliche Haaren herbeigezogen, Stadler hätte das halbe
Land zur Kahlköpfigkeit verdammt.
Historisch falsch obendrein. Im NS-Regime stand auf
Abtreibung im Extremfall die Todesstrafe. Einem radikalen Abtreibungsgegner dürfte das nicht an sich
unsympathisch sein. Es galt, Söhne für das Vaterland zu gebären. Söhne, die für das Vaterland sterben
würden. Oder eher, um's mit General George Patton zu halten, "to make some other poor son of a bitch die
for his country". Wobei die Wehrmacht an letzterem trotz Anfangs"erfolgen" glücklicherweise gescheitert
ist. Aber das ist eine andere Frage, in Bezug auf die Stadlers Meinung für diesen Beitrag uninteressant
ist.
Stadler versucht, mit billiger Polemik aufzufallen. Die hat er sich von Laun und anderen
abgeschaut. Die NS-Vergleiche kommen in Bezug auf die Abtreibung bei uns gerade in Mode. Da darf ein
"wehrhafter Christ" wie Stadler nicht fehlen. Was kümmert es einen Fundi, dass es die Sowejtunion war, die
als erstes Land der Welt 1920 den Schwangerschaftsabbruch legalisierte. Unter der Stalinschen
Terrorherrschaft wurde Abtreibung wieder verboten.
Tradition von
Diktaturen Auch im heimischen Klerikalfaschismus wurde hart gegen Frauen vorgegangen, die
abtrieben. Gegen solche aus der Arbeiterschaft zumindest. Nicht anders Chile oder Spanien unter Franco.
Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Mit seinem apodiktischen Nein zur Fristenlösung stellen sich
Stadler, Laun und Co umstandslos in die Nachfolge von Diktaturen und deren Frauenbildern. Ein harter
Vergleich vielleicht, aber einer, der sich historisch argumentieren lässt.
Der böse
Atheismus Die Geschichte scheint ihn wenig zu kümmern. Lieber versteigt sich Stadler in
irgendwelche moralischen Mutmaßungen. Irgendwie schwingt hier die katholische Geschichtslüge vom
atheistischen Nationalsozialismus mit. Gerne bemüht, um Menschen zu diffamieren, die's nicht so haben mit
der Frömmelei. Historischer Schwachsinn. Manche Nazi-Größen waren antiklerikal, einige wenige planten,
eine neue Religion zu etablieren. Etwa Alfred Rosenberg, dessen politische Tagebücher ich erst vor kurzem
gelesen habe. Alle gingen sie aber davon aus, dass es Gott gebe und Religion geben müsse. Das ist das
Gegenteil von Atheismus.
Aber gut, diese Geschichtslüge soll gemeinsam mit der Mär von der
Märtyrerrolle der Kirche und ihrer angeblich heldenhaften Rolle im Widerstand nur kaschieren, wie massiv
alle Ebenen des katholischen wie des protestantischen Klerus mit dem Regime kollaborierten. Zum Teil aus
Begeisterung, zum Teil um die eigene Rolle auszubauen. Siehe das Reichskonkordat mit der katholischen
Kirche. Die Sorge um die eigene Existenz oder Angst vor Verfolgung spielte eine untergeordnete Rolle. Es
wäre auch weitestgehend unberechtigt gewesen. Widerstand war nicht gern gesehen. Auch nachher nicht. Es
brauchte mehr als 60 Jahre, bevor die katholische Kirche einen Franz Jägerstätter anerkannte. Den wüsten
Antisemiten Maximilian Kolbe sprachen sie wesentlich schneller selig.
Es ist auch diese
Tradition, in der sich Ewald Stadler stellt, wenn er schwachsinnige NS-Vergleiche zählt. Ob das etwas ist,
auf das man stolz sein kann, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht ein weiteres Beispiel für das etwas
diffuse Geschichtsbild des Herrn Stadler, der hinter allem und jedem eine Freimaurer-Verschwörung sieht
und in dessen Augen die Befreiung 1945 auch nur eine angebliche war.
Auffallend ist die
Zurückhaltung Stadlers. Sonst nicht um einen Aufreger verlegen scheut er hier davor zurück, verbal den
"Dachau-Rauch" vor dem Wiener Rathaus wehen zu lassen. Das ist vielleicht sogar ihm zu viel. (Abgesehen
von der eher kuriosen Formulierung. Ein echter Vertreter der Babycaust-Psychose könnte ein Mindestmaß an
historischer Bildung demonstrieren und es wenigstens den Rauch von Auschwitz sein lassen. In dem ganzen
Wahnsinn wär das wenigstens ein sprachlich einigermaßen korrektes Bild.) Vielleicht fürchtet er sich auch
davor, dass ein allzu harter Holocaust-Vergleich doch juristisch verfolgbar sein könnte. Der Biss eines
Dobermanns sieht anders aus. So klingt vielleicht ein kläffender Dackel.
von Christoph Baumgarten
am 09. September
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Tags: Ewald Stadler Stadler BZÖ Abtreibung NS-Vergleich
Sonntag, 6. September
Die Moral des Religionslehrers
Im oberösterreichischen Landtagswahlkampf könnte bevorstehen, was man
einen Knalleffekt nennt. Im Bundesland kursiert das Gerücht, Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) sei
von seiner Frau verlassen worden. Auch im Internet mehren sich entsprechende Aussagen. Unabhängig vom
Wahrheitsgehalt eine pikante Angelegenheit.
Josef Pühringer ist ehemaliger
Religionslehrer. Josef Pühringer ist demonstrativ katholisch wie vermutlich kaum ein Landeshauptmann in
Österreich. Josef Pühringer kämpft mit Zähnen und Klauen für Kreuze in Linzer Kindergärten. Josef
Pühringer will Kindern zwangsweise eine "christliche Erziehung" angedeihen lassen. Josef Pühringer wirbt
als Politiker damit, dass er sich für Familien einsetze. Josef Pühringer propagiert ein konservatives
Familienbild.
Eine Familie mit Kindern zu haben, stellt für Jedermann/frau eine
Bereicherung dar. Familie ist der Ort wo Verantwortung füreinander gelebt wird, Liebe und Vertrauen
gefördert, gefordert und weitergegeben werden. Das ist eine der vielen Aussagen Pühringers zum
Thema Familie. Auf seiner Homepage wirbt er zuerst damit, dass er Familienmensch sei.
http://josef-puehringer.at
Scheidung nach der Wahl?
Vorstellungen, die
nur für andere gelten, wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, die in Oberösterreich kursieren. Josef
Pühringer soll sich nicht an das katholische Treuegelöbnis gehalten haben. Seine Frau sei aus der
gemeinsamen Wohnung ausgezogen.
http://puehringer.blog.com/2009/09/03/josef-puhringer-und-die-frauen
Gerüchte, die
oberösterreichische Sozidalemokraten und Sympathisanten anderer Parteien genüßlich weitererzählen.
Angereichert mit der Aussage, nach der Landtagswahl am 27. September werde sich Frau Pühringer scheiden
lassen. Das sei fix.
Es wäre naiv zu glauben, dass Gerüchte über eine Trennung im Hause
Pühringer oder eine bevorstehende Scheidung so munter kursieren würden, würden die Wahlen nicht
unmittelbar bevorstehen. In Zeiten, wo Kandidaten und Parteien sich profilieren, fällt es besonders auf,
wenn Schein und Sein auseinanderklaffen. Wenn der konservative Pühringer, der die manchmal auch weniger
diskrete Unterstützung der katholischen Kirche im Bundesland genießt, das Gegenteil dessen macht, was er
gerade jetzt propagiert, regt das auf. Dass politische Mitbewerber gerade jetzt bei einer möglichen
Vertuschung mithelfen, wird niemand ernsthaft glauben.
Der selbst ernannte
Heilige
Selbstverständlich haben die anderen Landtagsparteien das Beispiel Salzburg im
Kopf. Dort dürften die nicht verstummenden Behauptungen, Landeshauptmann Schausberger (ÖVP) schlage seine
Frau, zum historischen Wahlsieg der SPÖ vor knapp sechs Jahren beigetragen haben. Schausberger dementierte
das immer. Bewiesen wurden die Gerüchte nie.
Die Hoffnung, dass sich tatsächliche oder
angebliche moralische Verfehlungen gerade eines angeblichen Religionslehrers negativ auf das Wahlergebnis
der "Volks"partei auswirken, ist bei den poiltischen Mitbewerbern vorhanden. Und unabhängig von solchen
Überlegungen: Pühringer tut seit Jahren alles, um ein Interesse an solchen Geschichten besonders groß zu
halten. Er lässt den ehemaligen Religionslehrer gerne und oft heraushängen. Den, der die Moral gepachtet
hat. Wenn man so jemandem nachweisen oder erfolgreich andichten kann, dass er eher in fremden Betten
unterwegs ist als im eigenen Ehebett, hat das etwas besonders befriedigendes.
Nicht nur bei
der SPÖ, wo die Gerüchte über den als überheblich und selbstgerecht empfundenen Pühringer mit besonderer
Freude weitererzählt werden. Wer stürzt nicht gern einen selbst ernannten Heiligen?
Vergleich mit Berlusconi untauglich
Psychologisch nachvollziehbare Motive. Ob sie
rechtfertigen, dass das Privatleben eines Menschen in die Öffentlichkeit gezerrt wird, ist eine andere
Frage. Wie man mit dem Leben von Politikern außerhalb des Amts umgeht, ist eine sehr komplizierte
Angelegenheit. Als Journalist würde ich sagen: Raushalten. Im Zweifelsfall sowieso. Wenn das Privatleben
die Glaubwürdigkeit von zentralen ideologischen Aussagen des Betreffenden bzw. von zentralen Anliegen
seiner Politik infrage stellt, wird's schwierig. im Fall Pühringer lässt sich das in gewisser Weise
argumentieren.
Zumal es zu spät ist, den Deckel draufzuhalten. Auch wenn die Landesmedien
bislang noble Zurückhaltung gezeigt haben. Wäre ich anderer Meinung, würde ich dem keine Zeile widmen.
Pühringer bleibt nur die Flucht nach vorn. Er muss sagen, was Sache ist. Ehrlich. Sonst wird ihm die Sache
- unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Gerüchte - ziemlich schaden. Aussitzen dürfte nicht
funktionieren.
Dass Pühringer unter Zugzwang steht, liegt an ihm selbst. Anders als Italiens
Ministerpräsident Silvio Berlusconi kann er nicht davon ausgehen, dass sich moralische Verfehlungen
positiv auf sein Image bei der Bevölkerung auswirken. Berlusconi lebt seinen Machismo offen aus. Wenn er
Sex mit jemand anders hat als seiner Frau, bestätigt er öffentlich seine Vorstellung von Männlichkeit. Und
die vieler Italierner. Dass er die Moral gepachtet hat, hat er nie behauptet. Pühringer tut das täglich.
Sein Habitus, sein Gesichtsausdruck unterstreichen seine Morallastigkeit. Mit Augenzwinkern geht da
nichts.
Es ist in gewisser Hinsicht bedauernswert, wenn das politische Leben eines Menschen
es unmöglich macht, sein privates herauszuhalten. Das hat sich Pühringer selbst zuzuschreiben. Würde er
nicht seit Jahren Moral und Familie trommeln, wie es nur ein ehemaliger Religionslehrer tun kann, es würde
sich niemand für sein Privatleben interessieren. Das wäre gut so. Nur: Pühringer interessiert sich
politisch gesehen ständig für das Privatleben der Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher. Er macht
ihnen in gewisser Weise ständig Vorschriften, wie sie zu leben haben. Er muss es sich gefallen lassen, an
seinen eigenen Vorstellungen gemessen zu werden.
von Christoph Baumgarten
am 06. September
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Tags: Josef Pühringer Oberösterreich OÖ ÖVP "Volks"partei Wahlkampf Affäre
Samstag, 5. September
Schmutzige Tricks
Falsche Informationen, Horrorbilder, Frauen, denen gesagt wird, eine
Klinik in der Abtreibungen vorgenommen werden, sei umgezogen. Die Liste der Tricks radikaler
Abtreibungsgegner ist lang. Ungewollt liefert Politwatch ein Beispiel.
Mein
Name ist zufällig auch Christoph, Dr. Christoph Baumgartner. Ich bin Chefarzt einer Gynäkologischen
Station in St. Pölten. Das schreibt ein User, der auch diesen Namen angegeben hat, als er seinen
Kommentar postete (siehe unten). Ich habe täglich die traurige "Gelegenheit", "abgetriebene"
Neugeborene zu Gesicht zu bekommen und bin mir sicher, sie - und ihre Leser - würden ihre Meinung ändern
(oder zumindest hinterfragen), wenn sie einmal zu Gesicht bekommen würden, was sie in ihrem Artikel zu
gutheißen versuchen.
Dann postet der gute Mensch Links zu den üblichen
Horrorbildern, etwa von der Homepage von "Human Life International". Dieser Verein ist straff organisiert,
hat eine Tendenz zum Autoritären und kämpft besonders schmutzig gegen die Fristenlösung. In der
Vergangenheit lockte man Frauen, die auf dem Weg zur Klinik am Fleischmarkt waren, ins nahe gelegene
HLI-Büro und zwang sie dort Horror-Videos zu sehen.
In diesem Umfeld dürfte auch "Christoph
Baumgartner" anzusiedeln sein, der von sich selbst schreibt: Ich bin kein "Fundi"; ich sehe mich
weder weit links noch weit rechts im "gängigen" politischen Spektrum. Zugegebenermaßen sind mir
sich selbst als "unpolitisch" verstehende Menschen von Grund auf suspekt. Hinter solchen Aussagen
verbergen sich meist Alltagsfaschisten, die nur warten von der Kette gelassen zu werden. Menschen, die
sich für Politik nicht interessieren, verwenden andere Formulierungen.
Wer sagt, er sei "im
gängigen politischen Spektrum" weder links noch rechts, ist mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit jemand, den jede Form von Liberalität ein Greuel ist. Und hat eine unüberwindbare
Abscheu gegen jede Form von Gewerkschaft, Sozialdemokratie, Kommunismus oder andere humanistische
Gesinnungen, wozu ich in Österreich auch die grünen zählen würde.
Der Mann ist
Hochstapler
Wer auch immer dieser Herr Baumgartner ist, Leiter der Gynäkologie im
Landesklinikum St. Pölten ist er nicht. Die leitet ein Professor Matthias Klein. Einen Christoph
Baumgartner gibt es dort nicht. Eine andere "gynäkologische Station" in St. Pölten gibt es auch nicht. Das
Landesklinikum ist da seinzige Krankenhaus in der nö. Landeshauptstadt.
http://www.stpoelten.lknoe.at/abteilungen/gynaekologie-und-geburtshilfe.html
Christoph
Baumgartner ist bekannter Neurologe in Wien. Und der wird kaum auf Politwatch Fundi-Thesen vertreten. Was
den Schluss nahe legt: User "Christoph Baumgartner" ist nicht einmal Arzt. "Christoph Baumgartner" heißt
nicht einmal so. "Christoph Baumgartner" gibt sich als Arzt aus, um Fundi-Positionen mehr Gewicht zu
verleihen. "Christoph Baumgartner" hat gelogen.
Wenn ein Gynäkologe gegen Abtreibungen
wettert, hört man ihm eher zu als wenn das ein "Freibeter" tut, das am Fleischmarkt Psychoterror gegen
Frauen ausübt. Und sicher eher als den Chefs von HLI, auf deren Angaben so viel Verlass ist wie im Moment
auf den Fahrplan der ÖBB.
Pech nur, dass sich "Christoph Baumgartner" so dumm angestellt hat.
Aber auch das ist symptomatisch für die Fundis, bei allen schmutzigen Tricks. Dass sich ein
österreichischer Gynäkologe etwa so gut mit dem Medienrecht auskennt, dass er weiß, dass Schocker-Bilder
nicht so einfach gepostet werden können, ist sehr unwahrscheinlich. Dass er "zufällig" vor allem auf die
Bilder von HLI zurückgreift ebenso. Wo er wissen müsste: Diese Bilder zeigen Föten, die deutlich nach dem
dritten Schwangerschaftsmonat abgetrieben wurden. Das erhöht die Schockwirkung. Einem Gynäkologen würde
das auffallen.
Zudem ist es nicht illegal, diese Bilder in Österreich zu zeigen. Der Hinweis
soll nur die Dramatik erhöhen und der Botschaft dieses Fundis mehr Gewicht geben. Der Reiz des Verbotenen
zieht. Ähnlich der Hinweis man möge doch PAS oder Brustkrebsraten im Internet recherchieren. Ein paar
hingeworfene Schlüsselwörter, die in der richtigen Kombination wieder auf Seiten von Abtreibungsgegnern
führen. Ähnliche Schmähs verwenden Holocaust-Leugner in Internetforen. Auch die grammatikalischen und
orthographischen Fehler im Kommentar lassen nicht auf einen Menschen mit guter Bildung schließen.
Ich bin nur persönlich etwas beleidigt, dass mich "Christoph Baumgartner" für so dumm gehalten hat,
sein Posting ernst zu nehmen oder gar seinen Angaben Glauben zu schenken. Und, dass er meine Leserinnen
und Leser offenbar für genauso blöd hält. Lieber "Christoph Baumgartner": Wie sind hier nicht bei HLI, wo
man Menschen für dumm verkaufen kann. Bie allem Verständnis für Pseudonyme: Sich als Arzt auszugeben ist
letztklassig.
Von Medizin haben Sie keine Ahnung. Ein schlechter Katholik sind Sie
obendrein. "Christoph Baumgartner", Sie haben gelogen. Das ist nach Ihrem Verständnis eine Sünde. Auch
wenn sie von HLI tagtäglich begangen wird.
von Christoph Baumgarten
am 05. September
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Tags: Abtreibung Abtreibungsgegner Human Life International HLI Tricks Lügen
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